Pussy Edition

Chapter 16: Death by the Patriarchy – Wie uns ein System ermordet

Es geht um unsere Freundinnen, unsere Mütter, unsere Schwestern, unsere Tanten und Großmütter. Es geht um das Nachpfeifen aus dem vorbeifahrenden Auto. Um die sexistischen Nachrichten, die wir von einem Kneipenbetreiber, an dessen Lokal wir vorbeigehen, bekommen. Um die Dickpics, die wir später Antiflirting schicken. Um den Gynäkologen, der beim Abtasten der Brüste dieselben bewundert. Um die schwitzige Hand, die uns beim Tanzen ungefragt zwischen die Beine greift. Um das indirekte Andeuten, wie wir den Job doch noch bekommen könnten. Um den Kumpel aus der Klasse, der das Nein beim Schmusen nicht versteht. Um das Gspusi, das einem den Penis in den Mund drückt, bis man sich übergibt. Um das Tinder Date, das man nach langem Überreden doch mit nach Hause nimmt, das unser Nein nicht akzeptiert und unser Schreien mit seiner Hand verstummen lässt. Um den Mann, der nicht nur uns, sondern auch noch unsere Mütter erschießt – es geht um unseren Tod. Es geht um Morde, von denen allein schon dieses Jahr 14 geschehen sind: Im Schnitt kommt in Österreich alle zwei Wochen eine Frau durch die Hand eines Mannes ums Leben.

Iris Poltsch

Wir schreien, wir weinen, wir klagen, aber wir werden nicht gehört. Wie viele von uns müssen noch sterben, bis sich etwas ändert? Bis sich unsere Frauenministerin, die sich selbst nicht mal als Feministin bezeichnen möchte, dazu entschließt, etwas gegen sexualisierte Gewalt und Gewalt gegen FLINTA* zu unternehmen? Bis unsere Politik endlich für Sicherheit sorgt und nicht wir uns sorgen müssen, sobald die Exekutive auf uns zukommt (wie zuletzt etwa am 1. Mai in Wien). Nach dem 9. Mord in diesem Jahr gab es einen Sicherheitsgipfel, organisiert von Frauenministerin Susanne Raab, Justizministerin Alma Zadic und Innenminister Karl Nehammer – allerdings ohne NGOs und Betroffenschutzorganisationen. Nach einem Aufschrei wurde uns versprochen, dass das nachgeholt werden würde noch warten wir auf die Umsetzung. Inzwischen sind fünf weitere Femizide geschehen. Im Jahr 2014 gab es 19 Morde an Frauen, 2018 gab es mehr als doppelt so viele, nämlich 41! Und nun, Mitte Mai 2021, sind es bereits 14, wie die Autonomen Frauenhäuser Österreichs bekannt geben. 14 Morde, die hätten verhindert werden können, hätten verhindert werden müssen. Das Problem liegt nicht bei der Legislative – mit Gesetzen wie dem Convention on the Elimination of Discrimination against Women (CEDAW), Gewaltschutzgesetz, Betretungsverboten und Annäherungsverboten sind wir nicht schlecht aufgestellt. Gewalt gegen FLINTA* ist viel mehr ein strukturelles Problem eines noch immer patriarchalen Systems. Gewaltschutzorganisationen wie der Österreichische Frauenring setzen sich seit Jahren dagegen ein und stellen in Bezug auf Femizide folgende Forderungen: 

  • Die sofortige Umsetzung der gesetzlich verankerten Fallkonferenzen mit verpflichtender Einbeziehung der mit allen im Gewaltschutz tätigen Organisationen
  • Echte Gewaltschutzgipfel mit allen im Gewaltschutz tätigen Organisationen
  • Personenschutz für betroffene Frauen und Kinder von amts- und justizbekannten Männern
  • 228 Millionen Euro pro Jahr für Gewaltschutz und Gleichstellungspolitik
  • Joboffensive in der Gewaltprävention durch personelle Aufstockung in allen Gewaltschutzorganisationen und Finanzierung durch die öffentliche Hand
  • Regierungskampagnen gegen Gewalt und gegen frauenverachtendes Verhalten im häuslichen und öffentlichen Bereich sowie am Arbeitsplatz
  • die sofortige Umsetzung der Istanbul Konvention

Nicht jedem sexistischen Witz folgt gleich ein Mord, aber es ist dieses Klima der toxischen Männlichkeit, das solche Taten am Ende möglich macht.


Die Istanbul Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Die Türkei stieg als erstes Land 2020 aus der Konvention aus, mit der Begründung, dass diese die heimischen Familien bedrohe und zu Scheidungen führe. Das ist untragbar! Ein weiterer Aspekt, der nicht außer Acht gelassen werden darf, ist die anti-migrantische Haltung der FPÖ/ÖVP, die den Fokus ihres Anti-Gewaltpaketes auf Nicht-Österreicher legt. Tatsächlich waren aber im Jahr 2020 von 26 Tätern 21 Österreicher. Susanne Raab möchte eine Studie in Auftrag geben, die die „importierte Gewalt“ durch männliche Migranten und „kulturelle Gewalt“ beweisen soll – eine fremdenfeindliche Studie in einem rassistischen Diskurs. Das Problem ist aber ein durchaus österreichisches: In einem System, das die Unterdrückung von FLINTA* durch unbezahlte Care Work, die Gender Pay Gap, Altersarmut u.s.w. fördert, werden sogar diese schrecklichen Taten instrumentalisiert, um daraus politisches Kleingeld zu schlagen. Der einzige Grund für Femizide ist und bleibt aber das Patriarchat!

Der Fokus im Kampf gegen Gewalt muss in der Prävention liegen. Nur so können diese schrecklichen Morde unterbunden werden. Das ist ein Aufruf an die Politik und die Gesellschaft. Nur durch entschlossene Präventionsprogramme kann verhindert werden, dass weiterhin jede dritte Frau in Europa ab ihrem 15. Lebensjahr sexuell belästigt wird und jede fünfte Frau physische oder sexualisierte Gewalt erlebt. Im alltäglichen Leben kann Prävention bedeuten, dass sexistische Verhaltensweisen – wie eingangs beschrieben – unterlassen werden. Nicht jedem sexistischen Witz folgt gleich ein Mord, aber es ist dieses Klima der toxischen Männlichkeit, das solche Taten am Ende möglich macht. Wir können nicht immer gegen jeden blöden Witz protestieren, auch wir sind müde und es sei uns eine Pause vergönnt. Manchmal müssen wir Kraft tanken, um die Kämpfe unseres Alltags ausfechten zu können. Dafür braucht es ein Problembewusstsein und die Anstrengung aller Mitglieder unserer Gesellschaft. Wir weinen um die Frauen, die uns genommen wurden, aber unsere Stimmen werden nie verstummen. Deswegen muss unsere Antwort immer sein: Nehmt ihr uns eine, antworten wir alle!



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