Bling Bling Edition

Chapter 4: Generation B(ubble) – Warum es sinnlos ist, im Internet dagegen zu sein

Es ist leicht, den Beauty-gefilterten Social-Media-Aktivismus zu verachten – auch und gerade, weil wir ihn mitunter selbst betreiben. Wenn behütete Gymnasiasten ihre Selfies von einer BLM-Demo in der Wiener Innenstadt posten oder durchtrainierte Hipster ihre schiefe Nase mit einem #bodypositivity versehen, drängt sich einem das Gefühl auf, dass in unserer narzisstischen Online-Kultur jedes politische Aufbegehren zur eitlen Pose verkommen ist. Alles Fake! Aber war das früher wirklich anders? Waren die Punks aus den 80ern wirklich „echter“ als die E-Boys und Girls von heute? Und wenn ja, ist unser Problem wirklich die Virtualität?

K-Pop vs. Trump

An einem schwülen Samstagnachmittag im vergangenen Juni erlebte Donald Trump bei einer geplanten Rally in Tulsa, Oklahoma eine böse Überraschung: Nachdem sein Kampagnenteam von einer gigantischen Veranstaltungen mit zigtausenden, angemeldeten Besuchern ausgegangen war und das auch vollmundig in diversen Medien kommuniziert hatte, stand der erratische Präsident vor leeren Rängen. Verantwortlich für dieses „Desaster“ war nicht etwa das Coronavirus oder gar Trumps schwindende Popularität, sondern eine konzertierte Aktion US-amerikanischer K-Pop-Fans, die sich via TikTok darauf verständigt hatten, die Reservierungsplattform für Trumps Wahlkampfveranstaltung mit Anfragen zu bombardieren, ohne dann tatsächlich zu erscheinen. Was aufs erste Hinhören nach einer fetzigen Aktion einer vermeintlich unpolitischen Subkultur klingt ist in Wahrheit …

Sitzblockade 2.0

… genau das – ein Paradebeispiel für das beeindruckende Mobilisierungspotential innerhalb eines von Social Media befeuerten Echo Chamber. Die stolz präsentierten Screenshots der online getätigten Reservierungen waren in den Tagen danach für einen erheblichen Buzz auf den einschlägigen Plattformen verantwortlich. Wofür man früher persönlich bei einer Sitzblockade vor dem Stadion in Tulsa hätte erscheinen müssen, hatte im Jahr 2020 ein Smartphone und ein Account bei TikTok, Instagram und Konsorten gereicht. War die Aktion deshalb virtuell im Sinne von „unecht“? Zumindest das unmittelbare Ergebnis betreffend – ein peinlicher Moment für Trump – sicher nicht. War sie eitel? Vermutlich nicht mehr als jede andere Form des offen zur Schau gestellten Aktionismus. Aber einen Unterschied zur erwähnten Sitzblockade gibt es dann doch: Es hat zu keinem Zeitpunkt eine reale Konfrontation stattgefunden.

Punk und Pose

Es ist dieser Mangel und die damit einhergehende Abwesenheit von politischen Debatten, die charakteristisch ist für unsere globalisierte Online-Kultur. Der Grund dafür liegt allerdings weniger in der Ich-bezogenen Wohlstandsverwahrlosung einer Generation Z, die mithilfe von Beauty-Filtern und knackigen Statusupdates ihre stets fluide Individualität zu Markte trägt – der grün gefärbte Irokese aus den 80ern war auch nichts anderes als eine öffentlich zur Schau gestellte Pose und die echten Revoluzzer waren damals wie heute eine kleine Minderheit. Das Problem liegt vielmehr in unserem fehlenden Verständnis für die Funktionsweisen jener (Sozialen) Medien, die wir tagtäglich konsumieren. Zwanzig Jahre nach der digitalen Revolution glauben die allermeisten von uns noch immer an die Utopien, die man sich in den späten 90ern vom Durchbruch des World Wide Web versprochen hatte.


“Es ist dieses Gefühl von Geborgenheit und Bestätigung, das Social Media so attraktiv macht.”


Konsens heißt Business

Was uns als freier und demokratischer Zugang zu sämtlichen Informationen der modernen Welt erscheint, ist in Wahrheit eine im höchsten Maße selektive Auswahl maßgeschneiderten Infotainments. Das Potenzial der sozialen Medien, die verschiedensten Menschen eines zum Dorf geschrumpften Planeten miteinander zu verbinden, ist höchstens in der Theorie vorhanden und die so oft gefeierte Diversität unserer digitalen Netzwerke ist in aller Regel blanke Illusion. Es stimmt, dass unsere globalisierte Online-Kultur ein gigantisches Forum bereitstellt, in dem jeder eine Stimme hat und sich in aller Regel ungestraft frei äußern kann. Nicht zuletzt die LGBTQIA+ Bewegung hat davon enorm profitiert. Doch während das Vernetzen mit Gleichgesinnten zweifelsohne einen ersten und entscheidenden Schritt für politisches Handeln darstellt, wird dieses immer erst in der Konfrontation mit Andersdenkenden wirksam. Und genau hier fällt so gut wie jede Onlineplattform flach. Weil deren Geschäftsmodell der Konsens ist und nicht die Auseinandersetzung.

Digitaler Selbstbetrug

Dass es so einfach ist, diese simple Tatsache nicht wahrzunehmen, liegt an einer fatalen Allianz zwischen unserer Wahrnehmungspsychologie, dem Design der sozialen Online-Spaces und den ökonomischen Rahmenbedingungen ihrer Anbieter. Es ist eine Binsenweisheit, dass wir Informationen, Meinungen und soziale Umfelder bevorzugen, die unsere eigene Weltsicht bestätigen. Wenn wir doch einmal mit einer gegenteiligen Haltung konfrontiert werden, versuchen wir diese nach Möglichkeit zu entkräften oder gleich zu ignorieren. Es ist dieses Gefühl von Geborgenheit und Bestätigung, das Social Media so attraktiv macht. Und weil deren Business darin besteht, unsere Daten zu Sammeln und an Werbetreibende zu verkaufen, die uns wiederum immer bessere, maßgeschneiderte Ads vor den Latz knallen wollen, erzeugen diese Plattformen aktiv eine solche Blase des Konsens, aus der es kein Entkommen gibt. Auch wenn zigtausende Views und Likes eine gigantische, weltumspannende Audience für ein politisches Posting zu sein scheinen, verhallt diese Art des Engagements in aller Regel in der virtuellen Echokammer der uns Gleichgesinnten.

Vom Netz auf die Straße

Es wäre unrichtig daraus zu schließen, dass eine digitale (Jugend-)Kultur deshalb weniger politisch wäre als ihre analogen Vorgänger. Im Gegenteil! Von #metoo über Fridays for Future bis zu Black Lives Matter gibt es eine Menge ehrlich engagierter Initiativen und Menschen, die es aus ihren Social Media Blasen in die echte Welt geschafft haben. Aber genau hier liegt die Krux. Noble Solidaritätsbekundungen auf Instagram bedeuten nichts, solange sie sich nicht an gegenteiligen Ansichten reiben müssen. Und das ist online fast unmöglich, weil die Architektur der digitalen Welt einer kapitalistischen Verwertungslogik unterliegt, die uns systematisch von jeder Auseinandersetzung abschirmt. Nicht die Virtualität eines Selfies mit #blacklivesmatter ist das Problem, sondern jene der vorgegaukelten Öffentlichkeit, in der wir dieses posten. Am Ende muss man auf die Straße. Und mit den Anderen reden. Weil das trotz oder gerade wegen der digitalen Revolution immer weniger passiert. Man muss sich nur den Wahlkampf in den USA anschauen, um die Folgen eines solchen Mangels zu erkennen. Der fast ausschließlich online geführte Diskurs ist zwar auf beiden Seiten maximal politisiert, aber Politik im Sinne einer Debatte findet so gut wie gar nicht statt. Weil man die nämlich nicht mit Gleichgesinnten führen kann.


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