Joy of Being Queer Edition

Chapter 13: Goodbye Entweder-oder-Kultur – Ein Gespräch über die Freiheit(en) der Bisexualität

Als männlich und weiblich gelesene Menschen machen Romi (25) und Korri (24) unterschiedliche Erfahrungen mit ihrer Bisexualität. Beide haben mit Anfang ihrer Pubertät gemerkt, dass ihre erotischen Gefühle mehr sind als eindimensionale Verbindungen. Nachdem die beiden vom Land in die Stadt gezogen sind, konnten sie einen weiteren Schritt in Richtung sexuelle Freiheit gehen. Trotzdem erleben beide auch im einigermaßen toleranten Wien unangenehme oder übergriffige Situationen. In der Küche des Vangardist-Office-Safe-Space haben sich die beiden über die Findung ihrer Sexualität, verschiedenen Wahrnehmungen im Alltag und über persönliche Dilemmas unterhalten…

Korri: Mich interessiert, wie du deine Bisexualtät bemerkt hast und wie dieser Prozess für dich war. Für mich war das nämlich ein langer Weg, das zu realisieren und zu ownen.

Romi: Für mich war das eher so nebenher. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich auch Männer attraktiv finde und hatte dann auch mit ihnen was. Ich habe das damals aber eher heimlich gemacht und irgendwann einfach angefangen, mich als bi vorzustellen, wenn ich in einem Gespräch darauf gekommen bin. Ich hatte da auch Glück, dass ich keine Struggles hatte und einfach irgendwann bereit dafür war. Aber es ist jetzt auch nicht so, dass ich da mit allen gleich darüber rede. Wie war dein Prozess?

Korri: Ich weiß ja nicht, wo du herkommst, aber ich bin in einem richtigen Dorf-Dorf aufgewachsen.

Romi: Ja, ich auch.

Korri: Bei mir war das nämlich ein bisschen schwieriger. Unter jugendlichen Männern war es damals noch nicht so, dass sie ab und zu miteinander schmusen, unter Frauen eher schon. Dadurch habe ich mich dann oft ausprobiert und das wohl auch lange Zeit als betrunkene Momente konnotiert und nicht weiter darüber nachgedacht. Aber je mehr ich vom Dorf weggekommen bin, umso mehr habe ich gemerkt, dass da für mich schon mehr dabei ist. Die Reaktion meiner Eltern bei meinem Outing war dann so ein „haben wir uns eh schon immer gedacht”. Trotzdem war es ein Prozess für mich – ich hab mich ja erst vor ein paar Jahren richtig geoutet. 


“Ich habe schon früh erkannt, dass meine Bisexualität als luststeigernde Eigenschaft für Männer gesehen wird.”


Romi: Also hast du das nach deinem Umzug nach Wien erst richtig aufgearbeitet?

Korri: Für mich war es als ich jünger war leichter zu ignorieren, dass ich auch auf Frauen und nicht-binäre Menschen stehe – ich hatte ja die leichtere, akzeptiertere und sicherere heterosexuelle Möglichkeit auch noch. Darüber bin ich mittlerweile hinweg. Welche Reaktionen bekommst du denn so von Menschen in deinem Alltag?

Romi: Oftmals ist es tatsächlich so, dass Menschen von mir glauben, dass ich schwul bin und dann überrascht sind, dass ich auch auf Frauen stehe.

Korri: Das ist ja ein typisches Phänomen, dass bisexuelle Männer häufig als eigentlich schwul und bisexuelle Frauen als eigentlich straight wahrgenommen werden. Hörst du das dann auch oder reagieren die Leute dann einfach überrascht?

Romi: Jaja, das höre ich dann schon auch raus.

Korri: Für mich waren die weirdesten Situationen immer Dates, was sowas angeht. Welche Reaktionen bekommst du bei Dates, wenn dieses Thema aufkommt? 

Romi: Schwer zu sagen, weil ich Leute meistens beim Fortgehen kennen lerne und dann kommt’s eh relativ schnell zum Thema und wir haben schon vor dem ersten Date drüber gesprochen.

Korri: Und wie reagieren die Leute beim Fortgehen?

Romi: Es gab auch schon den Fall, dass es mir die andere Person einfach nicht glauben wollte.

Korri: Ich höre relativ oft die Frage, ob ich schon mal einen Dreier hatte oder ob ich mit der anderen Person einen Dreier haben wollen würde. Also jetzt speziell von Leuten, die ich als Männer gelesen habe. Am Anfang habe ich nicht ganz verstanden, was da genau passiert. Erst mit der Zeit wurde mir klar, dass da die volle Sexualisierung passiert. Jetzt weiß ich, dass es Zeit ist zu gehen, wenn mir sowas passiert. 

Romi: Kann ich verstehen. Ich würd aber sagen, dass meine Schmerzgrenze bezogen auf solche Reaktionen sehr hoch ist. Eigentlich fand ich nur diese eine Person, die mir das einfach absolut nicht glauben wollte, ziemlich nervig, aber sonst war’s für mich tolerierbar. Die meisten Menschen verstehen es ja auch, wenn man es erklärt.


“…und ich glaub, dass das daran liegt, dass sich viele Heteros einfach nicht mit LGBTQIA+ Themen auseinandersetzen.”


Korri: Kennst du Mae Martin? Sie ist eine kanadisch-englische Comedian, ist bi und entspricht einem sehr stereotypen lesbischen Äußeren und wird deswegen als lesbisch wahrgenommen. In einem ihrer Stand-ups erzählt sie von ihrem Outing als bi, obwohl sie sich nie als explizit lesbisch geäußert hat. Sie erzählt dann, dass Freund*innen von ihr behaupten, sie hätte gelogen, weil sie ja einen Kurzhaarschnitt trägt. Hä?

Romi: Wie reagierst du eigentlich auf solche Wahrnehmungen?

Korri: Das ist schwierig zu sagen. Ich glaube, das hängt sehr stark damit zusammen, dass Frauen als Objekte zur Befriedigung männlicher Lust dargestellt werden. Ich habe schon früh erkannt, dass meine Bisexualität als luststeigernde Eigenschaft für Männer gesehen wird. Das fühlt sich dann so an, als würden sie mir einen Teil meiner Sexualität wegnehmen und mir sagen, dass ich es für sie mache. Das finde ich ganz furchtbar. Mir meine Homosexualität außerhalb dieser heteronormativen Vorstellungen selbst anzueignen, war ein wichtiger Moment meines Prozesses. Meine Sexualität ist meins.

Romi: Ich bin ganz ohne Rollenbilder aufgewachsen. Meine Eltern erzogen mich sehr gleichberechtigt und deswegen war es für mich lange ein Problem zu verstehen, welche Struggles es im Bereich Sexismus, Rassismus und Homophobie usw. eigentlich noch gibt. Vor zwei Jahren habe ich angefangen, mehr feminin konnotierte Kleidung anzuziehen und da hat es dann angefangen, dass mir zum Teil Leute auf der Straße etwas hinterher schreien. Das sind dann halt immer Männer und das ist dann schon erschreckend. In der U-Bahn-Station Stephansplatz wollte mich ein Jugendlicher mal angrapschen. Ich habe mich umgedreht und seine Hand weggerückt und als er sah, dass ich ein Mann bin, war er richtig erschrocken. Das hat mich zwar getroffen, weil ich ja bedroht wurde, aber seine Reaktion war wieder eine kleine Wiedergutmachung.

Korri: In einem Podcast habe ich letztens eine bisexuelle Frau gehört, die meinte, sie kann sich auf lange Sicht nur Beziehungen zu Männern vorstellen, weil sie diese Reibung zwischen Mann und Frau so mag. Wie stehst du dazu, wenn du sowas hörst?

Romi: Sie kennt halt nur Männer und Frauen, mit denen es so ist. Ich kenne genügend Männer, mit denen sie diese Reibung vermutlich nicht hätte.

Korri: Voll, das ist sehr heteronormativ. Ich habe den Podcast dann auch nach 15 Minuten abgedreht. Für mich ist das Schöne an Bisexualität, dass es scheißegal ist, dass ich das, wonach ich suche, nicht nur bei einem bestimmten Gender finden kann. Ich finde das dort, wo ich es eben finde. Es ist eine sehr freie Sexualität, weil du alle Wahlmöglichkeiten hast.

Romi: Für mich ist eh jeder Mensch bi, aber halt mehr oder weniger in eine Richtung.

Korri: Ja klar, das ist ja ein Spektrum und im Endeffekt steht es ja auch den Leuten frei, welches Label sie für sich beanspruchen möchten. Ich denke mir auch manchmal, dass ich hundertprozentig gay bin und dann geh ich raus und merke, wenn ich auf der Straße bin, fällt mein Blick dann doch eher auf Personen, die ich als Männer wahrnehme in dem Moment.

Romi: Das kenne ich auch. Lass uns nochmal über Übergriffe reden. Seit ich Hotpants und Netzstrümpfe zum Feiern trage, hab ich angefangen, manchmal Jogginghosen für den Weg darüber anzuziehen, weil ich keinen Bock mehr hatte, mir was hinterher rufen zu lassen. Das waren in der Regel junge Männer und ich glaub, dass das daran liegt, dass sich viele Heteros einfach nicht mit LGBTQIA+ Themen auseinandersetzen.

Korri: Es gibt ja auch eine Studie, in der gezeigt wurde, dass bei der Rezeption von homoerotischen Inhalten die Gehirne derer am meisten erregt waren, die in der Befragung davor die homophobsten Antworten gegeben hatten. Direkte Übergriffe habe ich noch nie erfahren. Ich merke aber schon, dass die Blicke anders sind, wenn ich in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten mit Frauen austausche. Ich fühle mich da oft nicht sicher.


“So gerne ich auch Menschen meine Lebensrealität erkläre oder zeige, manchmal habe ich keinen Bock drauf.”


Romi: Das ist auch genau meine Wahrnehmung. Besonders in solchen Situationen versuche ich, nicht unsicher zu wirken. Ich will nicht aufgeben. Ich habe auch noch nie eine Person über ein Hetero-Pärchen sagen hören „Ich bin ja tolerant, aber muss das in der Öffentlichkeit sein?” Warum diesen Unterschied machen? Das ist einfach gezielte Homofeindlichkeit. Hat sich während deines Entdeckungsprozesses dein Umfeld irgendwie geändert?

Korri: Schon, aber weil ich gezielt danach gesucht habe. Das hat zum Finden dazu gehört. Queere Menschen bieten da einfach eine ganz andere Unterstützung. Vielleicht war das auch eher unterbewusst, aber es hat mir Sicherheit gegeben. Währenddessen habe ich mir auch viele Videos von Menschen angeschaut, die über ihre Erfahrungen sprechen. Letzte Woche habe ich übrigens zufälligerweise erfahren, dass es in Wien einen Verein für bisexuelle Menschen gibt. Das nächste Treffen habe ich mir schon eingetragen.

Romi: Nach meinem Umzug nach Wien hat sich bei mir schon auch einiges verändert. Hier bin ich viel auf Technopartys aus der LGBTQIA+-Szene gegangen. Dort spielt es einerseits den besten Sound und andererseits kommt man eben wieder in dieses Queer-Umfeld, das du ansprichst.

Korri: Ich glaube, eins umgibt sich einfach gerne mit Menschen, denen eins sich nicht ständig erklären muss. So gerne ich auch Menschen meine Lebensrealität erkläre oder zeige, manchmal habe ich keinen Bock drauf.


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