“Strangers staring, they want to be the first to ask for my life in one word. But Die Fotografin, Youtuberin, Grafikdesignerin und Aktivistin Miriam Wagner ist umtriebig in der Hamburger Szene. Wer in den letzten Jahren am Kiez schwul feiern war, kam an Mia, wie sich sich selbst nennt, nicht vorbei. Und das zurecht. Auf Gay-Partys entdeckte sie ihre Sexualität neu und hostete bald ihre eigenen Veranstaltungen, bis schlussendlich alle wussten, wer sie war. Auf ihrem Weg ließ sie die Heterosexualität völlig hinter sich und konnte die Eigenheiten der Szenen genau beobachten. Dabei war sie selbst anfangs nicht frei von Vorurteilen, die sie mittlerweile aber durch ihr queeres Fotoprojekt „Typisch Lesbe” abbauen konnte. Mit VANGARDIST sprach das Energiebündel über ihren Werdegang in der Community und die Liebe zu Frauen.
Du hast deine Homosexualität erst relativ spät entdeckt. Wann und wie hast du bemerkt, dass du dich zu Frauen hingezogen fühlst?
Rückblickend hätte ich es schon viel früher bemerken können. Ich habe mir aber sehr lange selbst nicht erlaubt, Gedanken überhaupt zuzulassen, die in diese Richtung gegangen wären. Da ich früher als Lesbe bezeichnet, gehänselt und dadurch auch ausgegrenzt wurde (noch bevor ich mir je einen Gedanken darüber gemacht habe, wie ich lieben würde), habe ich für mich beschlossen, alles außer lesbisch zu sein. Während der Trennung von meinem letzten Freund bin ich nur noch gay ausgegangen und dort wurde ich dann von der Frau angesprochen, mit der ich später meine ersten lesbischen Erfahrungen gemacht habe.
Deine ersten Begegnungen mit der Community fanden mit deinem Job im damaligen Gay-Club „136 Grad” in Hamburg statt. Später hattest du mit „Hard & Soft” deine eigene queere Party. Welche Eigenheiten und Unterschiede in den Communities von schwulen Männern und lesbischen Frauen waren für dich am prägendsten?
Meine ersten Berührungen machte ich tatsächlich noch viel früher. Als ich mit 19 in einem Sexshop gearbeitet habe, hatte ich zwei Travestiekünstler als Kunden und konnte einfach nicht aufhören über diese „neue Welt” nachzudenken, die sich mir dadurch gezeigt hatte. Es hat mich fasziniert und ich musste alles darüber herausfinden. In Hamburg konnte ich endlich richtige Kontakte zur LGBTQIA+ Community knüpfen, als ich für eine handvoll Dragqueens als Videografin gearbeitet habe und ihr Musical filmte. Danach lief alles Schlag auf Schlag, es folgte eine wilde Nacht im Electric Circus und daraufhin wurde ich als Hostess im „136 Grad” gebucht und bin dort für einige Jahre geblieben. Danach habe ich nur auf lesbischen Partys gearbeitet. Über die Eigenarten der Szene könnte man ganze Bücher schreiben. Mir fiel beispielsweise auf, dass bei den Frauen immer viel mehr geschaut und geredet und im Hintergrund abgecheckt wird. Kommt man als Frau neu auf eine Lesbenparty, kann man fast sicher davon ausgehen, dass nach Betreten der Party ein Background-Check über einen durchläuft. Wer ist sie? Mit wem ist sie hier? Hat schon jemand ihre Nägel sehen können? Ist sie gay? Männer sind da eher offensiv. Du bist neu? Du wirst direkter abgecheckt, meist direkt angesprochen und gefragt, wer du bist oder direkt angegraben. Auf Partys, auf denen sowohl Schwule als auch Lesben feiern, spaltet sich die Menge eigentlich jedes Mal. Die Frauen bleiben unter sich und die Gay Boys bringen oft ihre hetero Freundinnen mit, die dann auch oft dort bleiben. Drags fühlen sich unter Männern oft wohler. Nur um mal ein paar Beispiele zu nennen. Ich hätte vorher nie gedacht, dass es so etwas gibt.
Vergleichst du manchmal deine früheren Beziehungen zu Männern mit deinen jetzigen Beziehungen zu Frauen?
Das ist ein paar Mal vorgekommen. Über vergangene Beziehungen zu reflektieren hat mir viel mit meiner eigenen Entwicklung geholfen voranzukommen. Ich habe einige Parallelen zu den Beziehungen zu Männern festgestellt und daran konnte ich dann meine eigenen Muster ablesen und letztendlich brechen. Gerade in der ersten Beziehung zu einer Frau ist mir aufgefallen, dass sie große Ähnlichkeit zu dem ersten Mann hatte, den ich gedatet habe. Darauf folgend habe ich dann eine Frau gedatet, die Parallelen zu meinem zweiten Partner aufwies. Das war echt etwas spooky. Nachdem diese Beziehung beendet war, habe ich mich gezielter mit meinem Muster beschäftigt und eine Partnerin gefunden, die sich nicht mit einer vergangenen Beziehung vergleichen lässt.
“Lesbisch und queer zu sein ist ein fester Bestandteil meiner Person. Ich könnte mir nicht vorstellen wieder zu dem heterosexuellen Leben zurückzukehren, das ich vorher gelebt habe.”
Inwiefern bedeutet deine offen gelebte Homosexualität Freiheit für dich?
Indem ich meine Sexualität auslebe, lebe ich meine Wahrheit. Lesbisch und queer zu sein ist ein fester Bestandteil meiner Person. Ich könnte mir nicht vorstellen wieder zu dem hetero Leben zurückzukehren, das ich vorher gelebt habe. Ich bin eigentlich „Regeln” gefolgt, die mir gesellschaftlich aufgezwungen wurden. Ihr wisst schon, „wie Frauen zu leben, zu lieben, zu dienen und sich zu kleiden zu haben”. Durch das Brechen dieser Regelwerke habe ich auch den queeren Feminismus entdeckt. Eine Frau zu lieben hat mich einfach befreit.
Als Fotografin hast du die Serie „Typisch Lesbe” geschossen, bei der du zeigst, dass lesbische Frauen entgegen aller Stereotype vielfältig aussehen und sind. Was hast du selbst aus dieser Arbeit mitgenommen?
Ich musste schmunzelnd feststellen, dass auch ich gewisse Klischees aufgebaut hatte und war froh, dass dieses Projekt diese aufgebrochen hat. Ebenso witzig fand ich die Feststellung, dass jede Frau eine Lesbe sein könnte, unabhängig davon, wie sie ihr Gender performt. Das war ein ziemlicher Eye Opener.
Das klingt so, als hätte sich dein Blick auf Frauen in den letzten Jahren sehr geschärft. Was liebst du an Frauen? Was ist das Schönste an einer Frau?
OMG, wo fange ich da an? Frauen in all ihren Facetten faszinieren mich einfach. Sie sind stark und sanft zugleich. Die Frau wird gesellschaftlich immer als das schwächere Geschlecht betitelt, doch das kann ich so gar nicht unterschreiben. Ich kenne so viele Frauen mit einem unbändigen Willen, viele mit einem riesigen Wissensdurst, Gerechtigkeitssinn und zugleich Sensibilität und Empathie. Viele Frauen, die ich geliebt habe, sind richtige Kämpferinnen und haben ein Herz aus Gold. Es hat mich ebenso fasziniert herauszufinden, dass Frauen genauso Dominanz und Härte ausstrahlen können wie Männer.
Dein Äußeres ist vor allem wegen deiner Tattoos sehr markant. Einige davon haben Bezug zu deiner Sexualität. Inwiefern kehrst du damit deine Persönlichkeit für alle sichtbar nach außen?
Für mich ist es sehr erstrebenswert, echt und frei zu sein. Meine Sexualität zum äußerlich erkennbaren Ausdruck zu bringen ist eine Art, meine Wahrheit zu leben. Ich möchte als Lesbe lesbar sein, um mich nicht verstellen zu müssen.
In der Community homosexueller Männer werden Menschen häufig aufgrund ihres Aussehens oder sonstiger körperlicher Eigenschaften kategorisiert. Wie läuft das in der lesbischen Community ab? Wie definierst du dich, falls du diese Kategorien verwendest?
Meiner Erfahrung nach werden in der lesbischen Community Kategorien nach Gender Performance gewählt, also der Art und Weise, wie ich meine sexuelle Identität nach außen präsentiere. Am bekanntesten sind hier „Butch” und „Femme”. Die Butch ist ein Typ Frau, der sich bewusst maskulin kleidet und verhält, während die Femme das genaue Gegenteil ist. Sie schminkt sich häufig und kleidet sich feminin, was leider oft dazu führt, dass sie in und außerhalb der lesbischen Szene als hetero gelesen wird. Es gibt noch weitere Betitelungen, wie zum Beispiel androgyn, Stud oder Tomboy. Ich würde mich als queere Femme bezeichnen. Ich kleide mich immer feminin und schminke mich, verhalte mich aber auch gern dominant/maskulin.