Manchmal fällt mir die Suche nach einem Thema, mit dem ich hier glänzen kann schon ein wenig schwer. Da plagen einen Fragen ungeahnten Ausmaßes. Sollte es mal wieder um Sex gehen? Beziehungen? Oder eher ein wenig philosophisch? Und dann bekomme ich im nächsten Moment eine Nachricht auf einer bekannten Online-Dating-Plattform:
„Ficken?“ Und gut erzogen und freundlich wie ich bin, antworte ich: „Zunächst mal Hallo. Und hast du auch ein Facepic? Oder zwei?“
Dann wird es meistens ein wenig kryptisch – oder schlicht nicht nachvollziehbar: „Du hässliches Vieh ich hab dir schon mal Bilder geschickt. Dein Pech, wenn Du das nicht speichern kannst!“ Nun bin ich ja nicht auf den Mund gefallen, ein paar Minuten später hab ich also eine Antwort formuliert und drücke auf „senden“. Aber der Computer sagt Nein. Man hat mich geblockt. Mal wieder.
Vermutlich werde ich von meinem Verehrer also nie ein Facepic bekommen, aber dafür hab ich jetzt ein Thema: Denn ich bin sicher nicht der Einzige, der mit solchen Dilemmata durchs Internet gleitet. Ich glaube sogar, dass jeder, egal ob homo- oder heterosexuell, schon mal auf die eine oder andere Weise, mit derartigem „Verhalten“ zu tun hatte. Aber woran liegt das eigentlich? Dieses absolut nicht vertretbare Verhalten anderen Menschen gegenüber? Grundlose Beleidigungen, Ausgrenzung und mutwillige Abneigung – das kennt man im Grunde ja auch sonst aus dem Netz. Von jenen Störenfrieden, die Gift und Galle spucken. Die in der Anonymität des Internets ihrem ganzen Hass freien Lauf lassen.
Nun sind die Hater natürlich nicht unbedingt auch meine anonymen Verehrer, aber Parallelen gibt es eben doch: Die Menschen verstecken sich hier wie da im Netz. Die Anonymität des Internets lässt sie Manieren, Anstand und Höflichkeit vergessen. Das ist die dunkle Seite des Internets, die dunkle Seite des Menschen, die da an die Oberfläche kriecht. In der Anonymität des Internets sagen die Menschen Dinge, die sie sich sonst nie zu sagen trauen würden. In der Fachzeitschrift „Cyberpschology and Behavior“ beschrieb der Psychologe John Suler das Phänomen mit dem Begriff „toxische Enthemmung“. Niemand muss sich im Netz für sein Aussehen oder Verhalten verantworten. Status, Macht, Autorität – Das alles spielt keine Rolle mehr. Außerdem muss man sich nicht mit den Antworten auseinandersetzen, wenn man nicht will. Suler geht sogar so weit zu sagen, dass manche in einer regelrechten Traumwelt leben, abgekoppelt von den Verantwortlichkeiten der realen Welt.
Übrigens: Das Profil war am nächsten Tag gelöscht. Vermutlich ist sein Traum also einfach geplatzt.
Text: Stephan Otto