Noch vor seinem frühen Tod stieg Jean-Michel Basquiat zur Kunstikone auf, berüchtigt als „Radiant Child“ der New Yorker Kunstszene, Anti-Establishment Street-Artist, als erster Schwarzer Künstler, dem der internationale Durchbruch gelang und bis dato jüngster Teilnehmer der documenta in Kassel. Die Albertina in Wien ehrt den Ausnahmekünstler mit einer Retrospektive.
Eine schwarze Silhouette, mit ausgehöhlten Augen schaut aus dem Rahmen, wie ein anonymer Schatten. Spätestens der Titel verrät, was schon die Krone aus Locs deutlich macht: Self Portrait. Jean-Michel Basquiats Selbstdarstellungen waren jedoch nie nur das, sondern immer Teil einer größeren, lebenslangen Beschäftigung mit Fragen der Identität und der eigenen Geschichte.
1960 als Sohn eines haitianischen Vaters und einer Mutter mit puerto-ricanischen Wurzeln geboren, wächst Basquiat im Brooklyn der 70er Jahre auf. New York ist schwer getroffen von der Wirtschaftskrise, Kriminalität und Arbeitslosigkeit bestimmen das Leben in der Stadt. Aufgewachsen in einer bürgerlichen Familie, wurde das Kunstinteresse des jungen Basquiat früh von seiner Mutter gefördert. Sie besuchten oft die Museen der Stadt und mit nur sechs Jahren wurde er Junior Member des Brooklyn Museums.
Mit nur 17 reißt Basquiat nach Problemen mit seinem Vater von zu Hause aus und findet in der Underground New Wave Szene eine neue Community, übernachtet bei Freund:innen, unter anderem auch auf den Straßen New Yorks. Zu etwa dieser Zeit beginnt er auch mit seinem Freund Al Díaz und ihrer gemeinsamen Graffitikunst unter dem Pseudonym SAMO© die Stadt zu erobern.
Später weist er zurück, Graffiti-Künstler zu sein, den Wiedererkennungswert, den Basquiat schon mit SAMO© hatte, und die Systemkritik bleibt seinem Werk jedoch erhalten. Denn seine Erfahrungen mit dem System waren meist nicht positiv. Neben der Kriminalisierung, die Schwarze Menschen damals wie heute erfuhren, litt Basquiat auch unter dem harten Vorgehen der Polizei gegen Graffiti-Künstler:innen.
Aus der Street-Art Kultur stammt auch das Symbol, das wohl am häufigsten mit Jean-Michel Basquiat in Verbindung gebracht wird: die Krone. Er macht sich damit zum Self-declared King of the Streets, nutzt seine Kunst zur Selbstermächtigung. Es muss frustrierend gewesen sein: Offenbar war Basquiat sich seines außergewöhnlichen Talents bewusst und trotzdem musste er als Schwarzer Künstler in einer weißen Kunstwelt ständig seine Identität verteidigen. Diese defensive Position übersetzt er in seiner Kunst in einen Akt der Offensive: Ein prägendes Motiv ist stets die einseitige Blickweise auf Schwarzes Leben zu erweitern, Barrieren und normative Vorstellungen zu überwinden. Basquiat malte die Dinge und Menschen, die er aus seinem Leben kannte, in der Öffentlichkeit – vor allem in der elitären Kunstwelt – aber keinen Platz fanden, weder als Künstler:innen noch als Motiv. Für ihn selbst waren die großen Themen seines Schaffens „das Königliche, das Heroische und die Straße“.
“I don’t think I should be compared to Black artists but with all artists.”
Ein weiteres Motiv ist der menschliche Körper, der im Zentrum vieler Werke Basquiats steht. Man erkennt eine Faszination für das Leben, für die Anatomie. Sie soll vom berüchtigten Anatomie- Lehrbuch „Gray’s Anatomy“ rühren, das ihm seine Mutter als durch einen Unfall ans Bett gefesseltes Kind geschenkt haben soll. Immer wieder trifft man in seinen Bildern Gestalten, deren Körper verfremdet sind. Er seziert – meist schwarze – Körper, zeigt Betrachter:innen ihre Organe, ihre oft androgynen Körperteile.
Immer wieder finden sich auf den Gemälden Verweise auf die menschliche und tierische Anatomie. In einem seiner größten Werke, Flesh and Spirit, sind nicht nur Körperteile künstlerisch dargestellt, einige werden auch wörtlich genannt – brain, scapula, femur, flesh, ribs. Das verdeutlicht einen weiteren Aspekt von Basquiats Schaffen: Er setzt – schon während seiner Street-Art Zeit – ganz gezielt Schrift und Sprache ein. Die zwischen Zeichnungen und Kritzeleien platzierten Worte machen einem den Schaffensprozess Basquiats‘ bewusst. Oft arbeitete er an mehreren Werken gleichzeitig und machte mal hier, mal dort einen Pinselstrich, fuhr mit einem Finger durch die Farbe, als würde er versuchen, das unablässige Geschehen in seinem Kopf auf die Leinwand zu bringen.
So ergänzt sich mit jedem der rund 50 Werke der Ausstellung ein Porträt des Visionärs Basquiat, das diese Retrospektive zeichnet. Eines Visionärs, der seiner Zeit voraus war, dessen Schaffen zeitlos ist. Typisch für Basquiat ist ein Mix aus Materialien. Oft nutzte er nur Sperrholz oder Materialien, die er auf der Straße gefunden hat, für seine Kunst, ganz nach dem Motto „Trash to Treasure“.
Es lässt sich in Basquiat auch eine Person im Zwiespalt erkennen. Ein zentraler Widerspruch ist der Basquiats mit seiner Zeit, der durch die berüchtigte Krone symbolisiert wird: Sie steht einerseits für das Herausfordern von Machtverhältnissen, jedoch auch für Ruhm und Ansehen. Der wirtschaftliche Aufschwung der 80er-Jahre mit seinen Statussymbolen war nicht nur eine Entwicklung, die Basquiat in seinen Werken oft kritisierte, sondern auch eine, von der er direkt profitierte und die durch ihn auch aktiv befeuert wurde. Ein Paradox, das sich verstärkt, wenn man einen Blick in den Museumsshop der Albertina wirft. Man findet unzählige Marken und Produkte, die sich mit Basquiats Kunst und Namen schmücken: Basquiat-Fortnite-Socken, Basquiat-Koffer, Basquiat-Coach-Bags. Basquiat, Basquiat, Basquiat. Es ist wie ein Kult für einen Kunstgott, der seziert und ausgestellt wird, so wie er selbst es getan hat. Ein Personenkult, dem vielleicht auch dieser Text zum Opfer fällt.
Diese Ambiguität – sowohl in seinem Leben als auch seiner Kunst – ist vielleicht das, was Basquiat so faszinierend macht. Die unendlichen Arten seine Bilder zu lesen, ohne zu wissen, was seine wirkliche Intention war. Ohne zu wissen, was er von der Rezeption seiner Kunst und seiner Person gehalten hätte.
“I don’t think about art when I’m working. I try to think about life.”
Teil dieser Rezeption ist, dass Basquiat von vielen als queerer Künstler gefeiert wird. Zeitgenoss:innen berichten, dass er Beziehungen mit Frauen und Männern hatte. Er selbst hat sich jedoch nie geoutet. Das mag an der Zeit gelegen haben, vielleicht war es aber auch eine bewusste Entscheidung. Vielleicht hätte er sich selbst nie als queer bezeichnet.
Ihm dieses Label posthum zuzuschreiben, wäre falsch. Trotzdem ist es schade, dass dieser Teil seiner Identität in der Albertina mit keiner Silbe Erwähnung findet.
Denn bei Queerness geht es ja nicht nur um Sex, es geht vor allem auch um Kultur. Queer bedeutet unangepasst, anders. Und um Unangepasstheit geht es in Basquiats Arbeit massiv. Das Brechen von Grenzen und Normen. Das Zulassen von Ambivalenz, von und statt oder. Seine eigene Identität war immer von dieser Ambivalenz durchdrungen, seine Beziehung zu sich selbst, seinem Schwarz-Sein war immer im Wandel und in der Entwicklung.
Basquiats Ex-Freundin Suzanne Mallouk beschreibt seine sexuelle und romantische Natur so: „Er fühlte sich aus ganz unterschiedlichen Gründen zu Menschen hingezogen. Sie konnten Jungen, Mädchen, dünn, dick, hübsch oder hässlich sein. Ich glaube, es war die Intelligenz, die ihn antrieb. Er fühlte sich mehr als alles andere zu Intelligenz und zu Schmerz hingezogen. Er fühlte sich sehr zu Menschen hingezogen, die stillschweigend eine Art von innerem Schmerz trugen, wie er selbst.“
“I think I make art for myself, but ultimately I think I make it for the world.“
Dieser innere Schmerz wird in seiner Kunst, wie auch in seinem persönlichen Leben, mehr als deutlich. In seiner letzten Schaffensphase, nach dem überraschenden Tod seines Freundes, Mentors und Vaterfigur Andy Warhol, verfällt Basquiat immer mehr seiner Drogensucht. Die für ihn so typische, fast wirre Dynamik in seinen Bildern nimmt ab und wird abgelöst von immer mehr leerer Fläche. Immer wieder versucht er sein Drogenproblem in den Griff zu bekommen, reist weg aus New York, weg von den Drogen. Zurück in New York, verstirbt der nur 27-jährige Jean-Michel Basquiat 1988 an einer Überdosis.
Er hinterlässt eine ungebrochene Faszination mit seiner Person und seiner Kunst – bestimmt durch den Kampf gegen Ausbeutung, Kapitalismus und Rassismus.
Die Albertina hat eine mächtige Retrospektive über einen noch mächtigeren Künstler geschaffen. Sie überfordert, stößt Gedanken und Fantasie an und zieht in ihren Bann. Bis 8. Jänner ist die Retrospektive noch in der Albertina ausgestellt.
Header: Ulrich Ghezzi | © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York