Rebirth Edition

Chapter 10: No Sex without Clubs? Fehlende Grundlagen einer Community

Das letzte Jahr hat gezeigt, dass Splittergruppen wie die Bi-Community ohne gemeinschaftliche Räume gefühlt vom Erdboden verschluckt wurden. Doch warum ist das so? Unsere Redakteurin Fee L. Niederhagen hat sich mit der Clubkultur-Kolumnistin und Radiomoderatorin Nadine Cobbina a.k.a. der „Zuckerlkettenfrau“ zum Kaffee getroffen. Zwei bisexuelle Frauen unterhalten sich über abgesagte Dates, fehlende Räume und neue Chancen.

Nadine: Wie war euer Dreier-Date?

Fee: Abgesagt. Ich hatte keine Lust.

Nadine: Traust du dich, abzusagen?

Fee: Trau ich mich definitiv. Ich bin nach Hause gekommen und dachte „Oh mein Gott, ich will jetzt niemanden bei mir Zuhause haben, den ich überhaupt nicht kenne.“ Da sind wir direkt bei heteronormativen Strukturen. Ich fand den Gedanken netter, mit meinem Partner etwas zu essen zu bestellen und einen Pärchen-Abend zu machen. Ich habe mich damit kongruenter gefühlt als mit einem Date. Der Typ hatte geschrieben, dass er sich nicht Zuhause treffen möchte, weil er Angst davor hat. Deswegen wollte er spazieren gehen aber erst um 22 Uhr, bei fünf Grad. Das war mir zu unentspannt. 

Nadine: Ich finde, das ist genau das Problem in dieser Situation. Wir können Menschen nur treffen, wenn wir mit ihnen spazieren gehen und das ist irgendwie ein seltsamer Rahmen. Man geht nebeneinander her, muss ein Thema finden und kann sich gar nicht richtig präsentieren. 

Fee: Ja, aber auf der anderen Seite kommst du, wenn du zu jemandem nach Hause gehst oder jemanden einlädst, sofort von einer Situation, in der man sich nicht richtig anschauen kann, in eine extrem intime Sphäre.

Nadine: Clubs waren halt schon fein, weil man da eine Mischung hatte. 

Fee: Es fehlt ein neutraler Ort.

Nadine: Aber auch an den neutralen Orten lernt man kaum jemanden kennen. Wenn man ehrlich ist, was sind die Möglichkeiten? Im Café eher weniger, in einer Bar vielleicht schon eher … Aber auch dort ist es schwierig, aus sich heraus zu treten, um zu sagen „Hallo, hier bin ich, ich möchte was von dir!“. Das kompensiert sich gerade durch Tinder, aber es fehlt dieser Bezug, wirklich einen Menschen zu sehen und dann noch auf ihn oder sie zugehen zu können.

Fee: Das nimmt so viel Leichtigkeit, finde ich, weil die Situation dann auf jeden Fall auf Äußerlichkeiten heruntergebrochen wird. 

Nadine: Ich habe auf Tinder letztens welche gematcht, die sind in einer Beziehung, aber offen für Poly. Trotzdem habe ich mit ihm den Kontakt gestartet, nicht mit beiden gleichzeitig. Aber das eigentliche Hauptaugenmerk, dass man vielleicht eben mit mal zwei Persona, zwei Geschlechtern etwas anfängt, war dann schon wieder weg. Da ist wieder so ein Heterofokus, weil er auch mich alleine treffen würde. Aber ich sehne mich danach, im besten Fall beides gleichzeitig auf die Beine zu stellen. Ihn und sie zu treffen.

Fee: Mit zwei Menschen ist es schon kompliziert, aber wenn eine dritte oder vierte Person Teil der Rechnung wird, entstehen schnell unvorhersehbare Dynamiken. Wenn ich mich nicht darüber austauschen kann, oder es einen Raum gibt, in dem ich das ausleben kann, ist es als bisexuelles Paar, aber auch als Single, schwierig, nicht in heteronormative Strukturen zurückzufallen. 

Nadine: Es braucht den Raum von Akzeptanz und alles ist möglich und trotzdem aber auch die Sicherheit, dass sich nicht alles dadurch verändert. Ich finde es eben schwierig da einzutreten ohne, dass das Gefühl aufkommt, irgendwas kaputt zu machen oder zu beeinflussen. Eben weil es ja auch das Interesse an mir als Bi-Frau gibt. Auch im Club, oder bei Sex-Positive-Partys, hat sich da viel Druck aufgebaut. Man ist so viel im „sich-fragen“-Modus, statt es einfach auszuleben.

Fee: Ich merke, dass ich mit der Frage nach der eigenen Sexualität vorher viel gelöster umgegangen bin und viel entspannter einen Zugang dazu finden konnte, weil es für mich wichtig war, einen designierten Raum dafür zu haben. In dem Moment, in dem mir irgendwas zu viel wurde, oder ich Zeit für mich brauchte, konnte ich aus diesem Raum auch wieder heraustreten und nach Hause gehen. 

Nadine: Eben, aber das ist ja genau das. Dass es ein Doppelleben wird. Das ist etwas, das ich für mich nicht möchte. Ich möchte nicht das Gefühl haben, gemeinsam eine Basis zu sein und sich weiter umzuschauen, sondern dass es generell offen ist und sich zusammenfügt, ohne dass man als Pärchen gesehen wird. Ich will die Basis mit mir selbst sein, und alles andere ist der Zusatzfaktor. 

Fee: Ich finde es gerade in der Bi-Community spannend, wie viele unterschiedliche Ausgangssituationen es gibt. Neben Singles hast du schwule, lesbische, polyamouröse Beziehungen und das, was von außen als hetero wahrgenommen wird. Es lässt sich alles kombinieren. 


Wenn man bi ist, gibt es nach außen schnell einen Erklärungsbedarf, weil es oft nicht verstanden wird.


Nadine: Das ist auch das Spannende an der Zeit, in der wir leben. Dass alles möglich ist und trotzdem alte Strukturen immer wieder durchscheinen. Wenn man bi ist, gibt es nach außen schnell einen Erklärungsbedarf, weil es oft nicht verstanden wird. Das scheint mir lange nur bei Frauen ein „Ding“ gewesen zu sein, weil Männer das eh auch nice fanden, so dass sich das bei Frauen einfacher entwickeln konnte als bei Männern. Mittlerweile ist Bisexualität bei Männern wieder ein größeres Thema, auch, in welchen Formen die auftreten kann. Bist du zum Beispiel bisexuell, wenn du einen Mann küsst? Deinen besten Freund küsst? Wenn du dich in einen Mann und eine Frau verlieben kannst? Mädels knutschen oft miteinander rum und finden das lustig, sind dann oft nicht daran interessiert, sich dieses Geschlecht wirklich ins Leben zu holen. Und ich finde, wenn man wirklich bisexuell ist, wird man schnell zur Spielpuppe. Weil man an sich dafür offen ist, aber in solchen Situationen keine Tiefe aufkommt. Ich habe irgendwann angefangen, mich da zurückzuziehen, weil ich Frauen diesbezüglich misstraut habe. In meinem Umfeld gab es nur die Möglichkeit „ach mal zum Spaß“ oder eine Lesbe. Aber nie eine Frau, die tatsächlich sagt, dass sie zu gleichen Teilen auf Frauen und Männer steht und das auch zu gleichen Teilen in ihrem Leben haben möchte. Mein Schwager dachte beispielsweise immer, dass es eine Phase ist. Phasen gibt es aber nur in meinem Auftreten. Wenn man zum Beispiel vier Jahre in einer „hetero“ Beziehung ist, und die andere Seite dann gerade von außen „nicht da“ ist. Es kommt auf, wie es aufkommt, aber ich könnte mich nicht entscheiden, ob ich lieber mit einer Frau oder einem Mann sein möchte. Das ist nicht, wie ich mich fühle. Stattdessen fühle ich mich eingekesselt, wenn ich zum Beispiel nur eine Beziehung mit einem Mann habe. 

Fee: Im Club habe ich ständig nur Frauen getroffen, die zum ersten (und vielleicht letzten) Mal eine Frau geküsst haben und die ich danach nie wieder gesehen habe. Schaue ich stattdessen ins Internet, sind überall um mich herum bisexuelle Frauen. Und in „freier Wildbahn“ sind die auf einmal alle nicht mehr da, nicht mehr sichtbar.

Nadine: Wir brauchen ein Tattoo. Vielleicht ist das der Raum, der uns fehlt.


Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, Teil einer komplett unsichtbaren Community zu sein.


Fee: Es ist wirklich schwierig. Du erkennst sie nicht, du kannst sie nicht erkennen. Niemand der mich oder mich und meinen Freund sieht, würde denken, dass wir bi sind. Einfach, weil wir super hetero-cis aussehen. Auch wenn das nicht spiegelt, was in unserer Beziehung passiert. Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, Teil einer komplett unsichtbaren Community zu sein. 

Nadine: Habe ich auch nicht gecheckt am Anfang. Da gehts auch um verinnerlichte gesellschaftliche Konstrukte. Unser Gehirn basiert als Programm auf Gewohnheit und wenn man jemanden sieht, sieht man die Norm, es sei denn, es ist völlig überzeichnet. Aber meistens denkt man ja doch in A oder B, schwul oder hetero, schwarz oder weiß.

Fee: In den letzten paar Monaten habe ich mich auch sehr unter Druck gesetzt, Frauen zu treffen, einfach, weil das ohne gemeinsamen Raum nicht mehr so leicht möglich war. Bei meinem Partner ist eigentlich alles wie vorher gewesen. Einfach weil Bi-Männer immer auch auf die Gay-Community zurückgreifen können, die feste Strukturen hat und eben nicht sofort untergeht, nur weil die Clubs geschlossen sind. Bei der Bi-Community, die ich als sehr unsichtbar empfinde, ist das ein viel größeres Problem.


Was mir fehlt, ist eine Community, die für die da ist, die kein Ding daraus machen, welches Geschlecht man küsst.


Nadine: Als ich vor zehn Jahren gemerkt habe, dass ich bi bin, haben mich lesbische Freundinnen auch mal mit in ihre Community genommen. Da habe ich aber irgendwie auch Hate abbekommen, weil ich eben nicht lesbisch war. Ich habe zwar das Gefühl, dass sich das jetzt geändert hat, aber der Zugang zu den Communities ist trotzdem schwierig, eben weil sich noch keine neue gebildet hat. In der Lesben-Community war bi sein schon auch eine Bedrohung und hatte zur Folge, dass ich nicht ernst genommen wurde, sondern wurde abgetan als „Probiererchen“. In die lesbische Community möchte ich auch heute nicht rein, es ist dort für viele ein Abturner, wenn man auch mit Männern schläft. Was mir fehlt, ist eine Community, die für die da ist, die kein Ding daraus machen, welches Geschlecht man küsst. Auch in Richtung Trans-Personen ein wichtiges Thema. Diese Mischform fehlt mir noch. Wobei es gerade in der Clubszene angefangen hatte, zu reifen, und ein „welcome all“ zu werden. 

Fee: Aber dort, wo diese Entwicklung zum Erliegen gekommen ist, können wir nicht mehr ansetzen. Es braucht neue Ideen und Impulse, wie wir aus dem Rückzug ins Private und in heteronormative Strukturen wieder ausbrechen können.

Nadine: Ich möchte eine Party veranstalten, wo das Thema ist. Keine Sex-Positive-Party, keine Lesbenparty, sondern einfach Female Empowering. Wo es darum geht, die eigene Sexualität und den weiblichen Körper zu leben. Es soll auch ein auf Frauen gerichteter Safespace sein. Vielleicht gibts dann einfach Zuckerlketten in rosa, gelb, blau, um klarzustellen: Worauf hast du Bock und worauf nicht? Ich feile an dem Konzept gerade.



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